Für Seda Grigorjan ist es wie ein Albtraum, der wiederkehrt. Die Frau mit den ausdrucksstarken dunklen Augen weiß, was Krieg bedeutet. Drei Tage lang hat die 79-jährige Frau mit ihrer Familie während des armenisch-aserbaidschanischen Krieges um Bergkarabach im Keller gesessen und ausgeharrt, als ihr Dorf unter Beschuss stand. „28 Jahre ist das her“, erinnert sie sich, und ihre Trauer scheint so intensiv wie am ersten Tag. „Mein Mann starb durch eine Bombe in unserem Hof. Durch die Explosion stürzte auch das Hausdach ein. Mit meiner Tochter an der Hand rannte ich schreiend nach draußen. Sie war damals zwölf Jahre alt.“
Kehrt der Krieg zurück?
Der Konflikt um Bergkarabach währt nun schon ein ganzes Jahrhundert. Nach der Oktoberrevolution 1917 erhoben sowohl Armenien als auch Aserbaidschan Anspruch auf die mehrheitlich christlich-armenisch besiedelte Region. Die Gründung der Sowjetunion verschaffte dem Gebiet jahrzehntelange trügerische Ruhe und den Menschen ein normales Leben, auch wenn unterschwellig immer Spannungen zwischen den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen herrschten.
Als Bergkarabach sich nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 unabhängig erklärte, begann ein Krieg zwischen beiden Ländern, bei dem etwa 20.000 Menschen ihr Leben verloren – auch Sedas Mann. Dank internationaler Bemühungen wurde 1994 der Krieg beigelegt. „Fortan galt der Konflikt als eingefroren – ein Trugschluss. Denn nie hörte das Kämpfen gänzlich auf“, schreibt Die Zeit. Aktuell, so berichtet unser Mitarbeiter Wigen Aghanikjan, ist die Gefahr eines Kriegsausbruches stärker denn je; an den Grenzen kommt es vermehrt zu schweren Gefechten – Mitte Juli starben mindestens 16 Menschen.
Das alles macht Seda große Angst. Sie will nicht noch einmal das Grauen der Bombardierungen und Schüsse erleben müssen. Ihr Dasein ist, wie das so vieler anderer Familien und älterer Menschen in den Dörfern und Städten Bergkarabachs, von großer Armut geprägt. Der immerwährende Konflikt und die beständige Gefahr eines Krieges verhindern eine positive Entwicklung der Region. Seda ist ganz allein, nachdem auch ihre Tochter vor einiger Zeit an Blutkrebs starb, und hat kaum Möglichkeiten, sich zu versorgen.
Zu Hause wartet das Elend
Die Not in Bergkarabach macht vor keinem Alter halt. Wenn die Lehrerin Erna Lalajan in der Musikschule in der Gemeinde Schuschi hübsch gekleidet und sehr engagiert Klavier unterrichtet, sieht man der 36-Jährigen ihre Not nicht an. Doch daheim warten vier Kinder in einem zerfallenen Haus auf das nächste Essen, von dem Erna nie genau weiß, ob sie es diesmal wird zubereiten können. Mit den umgerechnet 100 Euro, die sie monatlich verdient, kann eine sechsköpfige Familie nicht ernährt werden. Ihr Mann Erik hat keine feste Arbeit und versucht täglich, mit Hilfsarbeiten ein paar Dram zu verdienen. Die Kinder brauchen Kleidung und Schulsachen, Erik benötigt Material, um das Haus reparieren zu können. Alles kostet Geld – Geld, das die Familie nicht hat.
Unser Mitarbeiter Wigen Aghanikjan sowie seine Kollegin Aljona Zeytunyan haben in der Frühjahrshilfsaktion im Mai Seda Grigorjan, Familie Lalajan und weiteren 298 Haushalten große Nahrungsmittelpakete überbracht. Schon viele Jahre helfen wir auf diese Weise zweimal jährlich besonders bedürftigen Menschen – so auch in den kommenden Tagen wieder.
Mehrere Wochen lang sorgen die Pakete mit Grundnahrungsmitteln für gefüllte Teller in den Familien. Mit 60 Euro können Sie, liebe Leserinnen und Leser, ein solches Hilfspaket auf den Weg schicken. Aber auch jeder kleinere oder größere Betrag unter dem Spendenstichwort „Bergkarabach“ ist eine große Unterstützung. Wir danken Ihnen im Namen von Menschen wie Seda Grigorjan und Familie Lalajan herzlich für jede Gabe.