Herr Reubelt, nach 29 Jahren bei Hoffnungszeichen verabschieden Sie sich nun in den wohlverdienten Ruhestand. Ein guter Zeitpunkt um zurückzublicken. Wie verlief damals Ihr Start bei Hoffnungszeichen?
Reubelt: Nach zwölf Jahren als Ingenieur in der Industrie habe ich im April 1994 bei Hoffnungszeichen, damals noch CSI Deutschland, als Geschäftsführer, einer damals noch sehr kleinen Organisation, begonnen. Zu diesem Zeitpunkt bestand Hoffnungszeichen noch aus einem ehrenamtlichen Vorstand, einer 50-Prozent-Kraft und einer externen Mitarbeiterin. Zu Beginn meiner Tätigkeit hatten wir im ersten Jahr rund 10 eher bescheidene Hilfsprojekte. Heute werden pro Jahr über 90 Hilfsprojekte mit wesentlich größerem Umfang umgesetzt. Hinzu kommt der laufende Betrieb unserer Buschklinik in Uganda im Ort Kosike und unsere mobilen Kliniken im Nordkenia. Heute ist das mit unseren 100 Mitarbeitenden weltweit kaum mehr vorstellbar.
Wie ging es danach weiter?
Reubelt: In der Anfangsphase war die Last schon recht groß. Ich musste nach innen für eine gewisse Ordnung sorgen, wie z.B. Strukturen aufbauen und nach außen Hilfsprojekte abwickeln und mit Projektpartnern kooperieren. Außerdem gehörte zum Tagesgeschäft, mit Lieferanten und Dienstleistern, zu verhandeln und gleichzeitig aber auch Spenderinnen und Spender anzusprechen. Zudem haben wir damals in den Projektländern eng mit kirchlichen Stellen, insbesondere Ordensleuten, zusammengearbeitet. Der Zuspruch für unsere damalige Ruanda-Hilfe war in Deutschland jedoch so groß, dass wir gemerkt haben, wir müssen die gesamte Arbeit professionalisieren. Zunächst haben wir einige Mitarbeitende eingestellt. Im Jahr 1997 kam mein Kollege Klaus Stieglitz dazu. Er hat den Bereich Menschenrechte aufgebaut und unter anderem durch umfangreiche Menschenrechtsrecherchen diesen Bereich zu einem entscheidenden Standbein ausgebaut.
Können Sie über eine Ihrer ersten herausfordernden Erfahrungen bei Hoffnungszeichen erzählen?
Reubelt: Nach dem Genozid der Volksgruppe der Hutu an den Tutsi in Ruanda bin ich 1994 rasch mit einem Kollegen einer Partnerorganisation zum ersten Mal über Kenia und Uganda nach Ruanda gereist. Dort haben wir mit vielen Menschen gesprochen, die auf der Flucht waren, die verletzt waren, oder die durch den Völkermord ihre Angehörige verloren haben. Für den Anfang war das alles sehr beeindruckend, aber natürlich auch erschütternd. Mir persönlich hat diese erste Reise einen riesigen Motivationsschub gegeben. Danach war es für mich eindeutig klar, dass ich bei dieser Organisation an der richtigen Stelle bin.
Was war eines Ihrer ersten Projekte bei Hoffnungszeichen?
Reubelt: Nach dem Genozid in Ruanda war vor allem das verunreinigte Trinkwasser ein großes Problem. Die Menschen hatten schwere Durchfallerkrankungen, es kam zu Cholera-Ausbrüchen. Wir hatten damals auf unserer Projektreise, außer Nahrungsmittelhilfe zunächst nur Wasserfilter dabei, die unter anderem in Krankenhäusern dringend gebraucht wurden. Das reichte aber bei weitem nicht aus. Daraufhin habe ich in Deutschland einen gebrauchten Milchtanklastwagen gekauft, der über Mombasa verschifft wurde und schließlich nach Ruanda transportiert und einem Krankenhaus übergeben wurde. Damit konnten die Verantwortlichen im Krankenhaus für ihre Patienten sauberes Trinkwasser für Monate beschaffen.
Während Ihrer Zeit bei Hoffnungszeichen hatten Sie zahlreiche Begegnungen mit den unterschiedlichsten Menschen. Gibt es eine Begegnung, die Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist?
Reubelt: Im Südsudan hatte ich zahlreiche Gespräche mit Menschen, die auf der Flucht waren. Eine Begegnung mit einem Mann in dem Ort Nyamlell, dessen Frau entführt wurde, hat mich nachhaltig beeindruckt. Er sagte zu mir: „Wir sterben hier im Südsudan. An dieses Leid haben wir uns gewöhnt. Woran wir uns nicht gewöhnt haben, ist das Gefühl, die Welt hat uns vergessen.“ Das hat sich bei mir eingebrannt.
Herr Stieglitz, nach einem Rückblick durch Herrn Reubelt sehen wir nun nach vorn. Seit kurzem haben Sie das Amt des Ersten Vorstandes bei Hoffnungszeichen übernommen. Was sind Ihre aktuellen Schwerpunkte?
Stieglitz: Unsere Arbeit lässt sich in drei unterschiedliche Bereiche aufteilen: die Menschenrechtsarbeit, die humanitäre Hilfe und die Entwicklungszusammenarbeit. Im Bereich der Menschenrechtsarbeit engagieren wir uns beispielsweise für ein einheitliches Lieferkettengesetz. Es verpflichtet große Unternehmen dazu, international anerkannte Menschenrechte und Umweltstandards einzuhalten und Verantwortung entlang ihrer Lieferketten zu übernehmen. Das Gesetz muss, auch auf europäischer Ebene, jedoch dringend noch nachgeschärft werden.
Was ist Ihrer Meinung nach dazu nötig?
Stieglitz: Es muss in unserer Gesellschaft einen Bewusstseinswandel geben. Wir müssen uns bewusst machen, dass unser Wohlstand auf der Armut der Menschen im globalen Süden beruht. Wir glauben, dass wir unserer Verantwortung gerecht werden müssen, einen Ausgleich zwischen den Gesellschaften des globalen Nordens und des globalen Südens zu erreichen. Ein gutes Beispiel hierfür sind faire Preise. Momentan ist zum Beispiel ein Kilo Bodensee-Äpfel deutlich teurer als ein Kilo importierte Bananen. Unsere Verantwortung ist es manchmal aber auch, den Finger in die Wunde zu legen und nicht die Augen vor dem Leid der Menschen zu verschließen. Wenn wir ein scharfes Lieferkettengesetz haben, müssen Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen bezahlen. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf den jeweiligen Preis der Produkte.
Was planen Sie für den Bereich der Entwicklungszusammenarbeit?
Stieglitz: Im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit haben wir unsere Ziele in den Kontext der sogenannten sustainable development goals gestellt. Das sind politische Zielsetzungen der Vereinten Nationen, die weltweit der Sicherung einer nachhaltigen Entwicklung dienen sollen. Und das auf ökonomischer, sozialer sowie ökologischer Ebene. Konkret setzen wir uns für die Ziele keine Armut, kein Hunger, Frieden und Gerechtigkeit, Gesundheit und Wohlergehen sowie sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen ein. Für jeden dieser Bereiche haben wir Projekte. Ein gutes Beispiel hierfür ist unsere Klinik in Uganda. Dort geht es nicht nur um Gesundheitsversorgung, sondern auch um die Bekämpfung von Hunger und den Zugang zu sauberem Wasser. In diesem Projekt haben wir somit mehrere Punkte vereint.
Sie helfen auch im Bereich der humanitären Hilfe. Welche Themen beschäftigen Sie hier?
Stieglitz: Im Bereich Humanitäre Hilfe beschäftigt uns insbesondere der Krieg in der Ukraine. Hier arbeiten wir mit verschiedenen Projektpartnern zusammen. Seit 2022 haben wir auch ein eigenes Büro in der Ukraine. Wir helfen durch Sachspenden, aber auch durch die Vermittlung von psychotherapeutischen Maßnahmen. Viele Ukrainerinnen und Ukrainer mussten innerhalb weniger Tage ihr Leben zurücklassen, das sie über Jahrzehnte mühsam aufgebaut haben. Zudem haben sie Familienmitglieder oder Freunde verloren. Die Geschichten der Menschen, die ich bei einem Besuch in der Ukraine erfahren habe, haben mich persönlich sehr getroffen und berührt.
Wie gehen Sie damit um, dass Sie nicht allen Menschen helfen können? Woher nehmen Sie ihre Motivation?
Stieglitz: „Pflege das Leben, wo Du es triffst“ – das Zitat von Hildegard von Bingen rufe ich mir stets ins Gedächtnis. Denn dahinter steckt eine sehr tiefe Bedeutung. Mit unseren Projekten können wir nicht allen Menschen helfen, aber wir leisten unseren Beitrag und antworten auf unsere Verantwortung vor Gott und den Menschen. Das ist Motivation dafür, dass man mit dem, was man erreicht, zufrieden ist, dass man Hoffnung sieht. Das hat natürlich auch viel mit Glauben zu tun.
Das Thema Glauben ist ein guter Punkt. Herr Reubelt, wie hat der Glaube Ihnen bei Ihrer Arbeit geholfen?
Reubelt: Aufgrund meines christlichen Glaubens wollte ich mich schon immer für das Leben einsetzen. Das ist mir vorher in der Industrie nicht gelungen. Mir ist bewusst, dass wir durch unsere Arbeit bei Hoffnungszeichen zwar nicht die Welt retten können, aber immerhin können wir vielen Menschen helfen und dadurch „dem Leben dienen“. Wir wollen letztendlich Werkzeuge Gottes sein, die helfen dürfen, die Welt etwas besser zu machen. Bei meiner Arbeit für Hoffnungszeichen habe ich von Anfang an einen tiefen Sinn empfunden. Diese Sinnhaftigkeit motiviert mich, auch wenn ich ab und zu mal mit Niederlagen kämpfen musste. Unabhängig davon, wie viele Menschen wir mit unseren Projekten erreichen, überall dort, wo wir uns für die Verbesserung der Lebensqualität einsetzen, arbeiten wir an der Schöpfung. In unseren zwei Klinken im Südsudan, die wir aufgebaut und dann zum Weiterbetrieb an eine Diözese und eine englische Organisation übergeben haben, wurden jedes Jahr mehr als 50.000 Patienten behandelt. Einige dieser Menschen würden heute nicht mehr leben, wenn sie dort keine medizinische Behandlung erhalten hätten.
Insgesamt profitieren von den Hoffnungszeichen-Projekten heute jährlich immerhin über 1,5 Millionen Menschen. Diese Sinnhaftigkeit, die ich hier bei dieser Arbeit stets erlebt habe, hat mich jeden Tag begleitet und stets aufs Neue motiviert.