Verzweifelte Gesichter, eisige Kälte und baufällige Behausungen – diese Eindrücke aus Nordarmenien haben sich tief in mein Gedächtnis gebrannt. Gemeinsam mit einer Kollegin bin ich zu Winterbeginn in das nordarmenische Bergdorf Dschadschur gereist, um mir vor Ort ein Bild von den Lebensumständen der Menschen zu machen. Die existentielle Not dort hat mich tief erschüttert.
Doch neben Hunger, Zukunftssorgen und großer Armut berührten mich in Dschadschur vor allem: warmherzige Menschen, die mir mit großer Offenheit von ihrem persönlichen Schicksal, ihren Ängsten und ihren Hoffnungen erzählt haben. Eine von ihnen ist Torvayan Schochik. Sie hat uns einen Einblick in ihr Leben gewährt, den wir gerne mit Ihnen teilen möchten.
Wenn die Dunkelheit den Tag bestimmt
Ein grauer Tag Ende Oktober. Der erste Schnee des Jahres fällt ungewöhnlich früh, als wir die 82-jährige Torvayan Schochik besuchen. Sie lebt in einem alten Baucontainer, der schon bessere Zeiten gesehen hat. Die Farbe der Fassade blättert ab, durch das Wellblechdach zieht es ins Innere. Drinnen riecht es feucht und modrig. Der Rentnerin bleibt nichts anderes übrig, als hier zu leben. Seit ihr Haus beim großen Erdbeben 1988 komplett zerstört wurde, nennt die Witwe die wenigen Quadratmeter ihr Zuhause. Meistens ist es dunkel, denn von draußen kommt nicht viel Licht herein und der Strom wurde abgestellt, weil sie die Rechnungen nicht mehr begleichen konnte.
Das Notizenmachen während unseres Besuches fällt mir schwer. Einerseits, weil ich diese traurig wirkende ältere Frau am liebsten in die Arme schließen würde. Andererseits, weil meine Finger wenig beweglich sind, so kalt ist es draußen schon jetzt. Ich verstehe mehr und mehr, warum der lange Winter für die Menschen hier solch eine große Bedrohung darstellt. Draußen tobt der Wind, drinnen spricht Torvayan mit zaghafter Stimme über ihr bewegtes Leben.
Sie höre nicht mehr so gut in ihrem Alter, erzählt sie uns. Aber wer soll ihr auch zuhören? Manchmal kommt eine Nachbarin vorbei und schaut nach ihr. Familie hat sie keine mehr im Dorf. Ihre Tochter starb vor mehr als 20 Jahren, auch ihr Mann ist schon lange tot. Ihre beiden Söhne sind in der Hoffnung, eine Arbeit zu finden, mit ihren Enkelkindern nach Russland gezogen. Das letzte, was ihr von ihren Enkeln bleibt, sind die bunten Basteleien an den Wänden.
„Wegen einem Stück Brot sind sie nach Russland gefahren“, bedauert die alte Frau den Weggang ihrer Söhne. Wir schauen uns in Torvayans dunklem Zuhause um – Brot können wir hier keines entdecken. Der Topf auf dem kleinen Ofen bleibt meist leer, wie sie uns erzählt.
Armut wohin man schaut
Vom Erdbeben beschädigte Häuser, Straßen aus Dreck, karge Felder und ein grauer Himmel – Dschadschur bietet ein Bild der Perspektivlosigkeit. Nicht selten werden wir auf unserer Reise von angeketteten Hunden oder herumstreunenden, hageren Katzen begrüßt. Die überall vorherrschende Not geht mir auf dieser Reise sehr nahe. Wie muss es erst sein, hier zu leben?
Der Glaube als Hoffnungsanker
Bei dem Leid um uns herum frage ich die Seniorin: Wie erträgt man solch eine große Not? Torvayans Antwort kommt prompt: Es sind die Nahrungsmittelpakete von Hoffnungszeichen und ihr Glaube, die ihr Kraft geben. Zweimal jeden Winter verteilen wir solche Pakete an die 150 bedürftigsten Haushalte des Dorfes, darunter viele alleinlebende alte Menschen wie Torvayan Schochik.
Ein Dankeschön von Herzen
Für „die Hilfe aus Deutschland“, wie viele der Dorfbewohner in Dschadschur den Beistand von Hoffnungszeichen nennen, sind die Menschen zutiefst dankbar. Für unsere Reise nach Armenien haben wir den Dorfbewohnern einen besonderen Gruß einer unserer Spenderinnen mitgebracht. Zum Geburtstag hatte sie sich gewünscht, dass nicht sie beschenkt wird, sondern dass ihre Gäste den Menschen in Nordarmenien etwas Gutes tun. Mit viel Herz hat sie eine wunderschöne Karte gestaltet. Kopien hiervon haben wir den Dorfbewohnern als Herzensgruß überreicht. Als wir Torvayan Schochik die Karte überreichen, ist sie ganz gerührt von so viel Zuwendung.
Trost spenden, Hunger stillen
Als wir uns von der alten Frau verabschieden, will sie uns am liebsten gar nicht gehen lassen. Sie hat sich so über unseren Besuch gefreut und mir wird schwer ums Herz bei dem Gedanken, dass wir sie nun wieder alleine zurücklassen werden. „Danke, dass Sie sich an mich erinnern. Ich wünsche Ihnen und den Menschen in Deutschland ein langes Leben und Gesundheit. Wir sind euch hier sehr dankbar!“ – verabschiedet sie uns.
Zurück in Deutschland denke ich oft an die Dorfbewohner von Dschadschur. Wie es ihnen wohl gerade geht? Ich bin froh, dass wir verarmten Rentnern wie Torvayan Schochik durch bloßes Zuhören und mit unseren Nahrungsmittelpaketen beistehen können und ihnen so zeigen: Wir haben euch nicht vergessen, ihr seid nicht allein in eurer Not.
Auch in diesen Tagen machen sich unsere Kollegen wieder mit Hilfspaketen auf den Weg. Wenn auch Sie unsere Hilfe für Menschen in Not unterstützen möchten, seien Sie sich gewiss: Ihre Gabe kommt dort an, wo sie von tiefstem Herzen wertgeschätzt wird.