Hunger und eisige Kälte
Lusine Gevorgyan hackt mühevoll Holz. Sie kann es noch nicht sehr gut; früher hat ihr Mann diese Aufgabe erledigt. Ihre Mutter Epraksia würde ihr wenigstens diese Arbeit gerne abnehmen, aber dafür ist die 63-Jährige zu schwach: „Mangelernährung“, bemerkt unser Mitarbeiter Wigen Aghanikjan erschüttert. Die schmächtige Frau leidet regelmäßig unter Schwindelattacken; auch beim Besuch von Wigen und seiner Kollegin Aljona Zeytunyan ist sie sehr unsicher auf den Beinen. Die Familie lebt in einer dunklen, halb vermoderten Blechbaracke. Die wenigen Habseligkeiten – ein paar Teppiche und Decken, das Nötigste an Möbeln – sind liebevoll arrangiert, um der kalten Hütte, in der der eisige Wind durch alle Ritzen pfeift, etwas Wohnlichkeit abzuringen.
Auf dem Kinderbett von Lusines Sohn sitzen, sorgfältig aufgereiht, einige Puppen und Plüschtiere. Mit ihren freundlichen Knopfaugen blicken sie auf die verrosteten Wände, den welligen, morschen Fußboden und das schon halb durchgebrochene Dach. Der Junge hat oft eines seiner Stofftiere im Arm. Seit dem Tod seines Vaters, der 2020 im armenisch-aserbaidschanischen Krieg um Bergkarabach fiel, seine Seelentröster im eiskalten, bitterarmen Alltag. Lusine ist schon in jungen Jahren Witwe geworden und hat kaum Zeit für ihre Trauer. Sie verdient den Lebensunterhalt der Familie mit Gelegenheitsarbeiten und als Straßenfegerin. Das reicht kaum zum Überleben. Buchweizen gebe es heute, sagt sie schüchtern, und zeigt auf den Topf. Immerhin etwas zu essen diesmal. Das ist nicht jeden Tag so. Und wenn es etwas gibt, dann schiebt Oma Epraksia ihrem Enkel, der wachsen und groß werden soll, häufig einen Teil ihrer Portion zu.
Die Angst kehrt zurück
Die Angst vor einem erneuten Krieg ist in Armenien wieder erwacht, seit es im September an der Grenze zu Aserbaidschan zu schweren Kämpfen kam. Krieg – viele Leben hat dieser bereits gekostet; er hat Familien zerrissen, soziale Strukturen zerstört und die ohnehin prekären Zustände verschlimmert. Wo vorher Armut war, herrscht plötzlich blanke Not, und wo es vorher Hoffnung gab, ziehen Verzweiflung und Zukunftsängste ein.
Auch die 30-jährige Anna Apozyan ist am Ende ihrer Kräfte. Sie ist unendlich dankbar, dass ihr Mann noch bei ihr ist. Die Familie wohnt mit den beiden Kindern Milena (6) und Hratch (6 Monate) in einer Blechbaracke, die vor über 30 Jahren nach dem schweren Erdbeben von Spitak als Aufenthaltsraum für Bauarbeiter errichtet wurde. Glasscheiben gibt es nicht mehr, und die Enge im Raum ist erdrückend. Der Strom ist abgestellt, seit die Familie die Rechnungen nicht mehr zahlen konnte; die Schulden im Dorfladen sind hoch. Der Vater ist vergeblich auf der Suche nach Arbeit. Anna bricht in Tränen aus, als sie berichtet, dass er einmal sogar Geld auf der Straße erbettelte, um Brot kaufen zu können.
Hilfe in Zeiten der Not
Unsere schon seit Jahren etablierte Winterhilfe in der nordarmenischen Provinz Schirak zugunsten äußerst bedürftiger Familien und alleinlebender Rentner findet auch in diesem Jahr statt und ist Menschen wie Anna, Lusine, ihren Kindern und vielen weiteren eine große Unterstützung in diesen schweren Zeiten. Unsere Mitarbeitenden Aljona und Wigen haben große Routine mit diesem Projekt; die Hilfsgüter werden ortsnah beschafft, zusammengepackt und schließlich den gewissenhaft ausgewählten Haushalten überbracht.
Diese persönlichen Besuche sind für viele Hilfeempfangende eine besondere Art der Wertschätzung, geben sie ihnen doch Gelegenheit, ihre Sorgen mit mitfühlenden Menschen zu teilen. Auch die empfundene Dankbarkeit wird so direkt und ungefiltert an unsere Helfer weitergegeben – nicht selten unter Tränen und mit der großen Bitte, auch bei der nächsten Verteilung an sie zu denken. Unsere Hilfspakete enthalten wichtige Lebensmittel wie Nudeln, Mehl, Speiseöl und Konserven, aber auch Waschmittel und Seife. Je nach Größe der Familie reichen die Nahrungsmittel mehrere Wochen.
Mit einer Gabe von 59 Euro können Sie ein großes Hilfspaket auf den Weg nach Nordarmenien schicken. Jede Spende schenkt den Menschen Trost und Unterstützung in ihrem schweren Alltag. Haben Sie herzlichen Dank dafür!
Die wiederkehrende Krise
Der Beginn des Konflikts zwischen Armenien und Aserbaidschan reicht über ein Jahrhundert zurück. Vor allem der Streit um die von ethnischen Armeniern bewohnte aserbaidschanische Region Bergkarabach belastet die Beziehung. 1992 mündete die Auseinandersetzung in einem verlustreichen Krieg. Im Herbst 2020 eskalierte der Konflikt erneut – 6.500 Todesopfer forderten die Kämpfe. Mitte September dieses Jahres attackierten aserbaidschanische Truppen ostarmenische Grenzregionen – über 300 Menschen starben bei diesen letzten kriegerischen Gefechten.