Was steckt hinter der „Lieferkette des Leids"?
Klaus Stieglitz: Der Südsudan ist eines der korruptesten Länder der Welt. Die Staatseinnahmen kommen zu 98 % vom Erdöl. Die Erdölindustrie kann dort schalten und walten, wie sie will. Eine Aufsicht über die Produktion des schwarzen Goldes gibt es praktisch nicht. Deshalb produzieren dort die Erdölfirmen wie der malaysische Konzern Petronas, der Sponsor von Daimler ist, auf Kosten von Mensch und Umwelt. Denn das Geld für eine umweltgerechte Entsorgung von Abfällen und Schadstoffen spart sich die Erdölindustrie im Südsudan ganz offensichtlich. Durch die unsachgemäße Entsorgung gelangen ihre Abfälle in die Umwelt und vergiften das Trinkwasser von mehr als 600.000 Menschen im Südsudan. Die Bevölkerung im Land spürt, was da los ist. Aber diesen Menschen fehlen die Mittel, sich zu wehren. Dazu ist die Analphabetenrate im Südsudan eine der höchsten weltweit. Wir von Hoffnungszeichen glauben, dass die Erdölindustrie gerade diese Wehr- und Arglosigkeit der Menschen ausnutzt, um billig Öl zu fördern.
Bringt das deutsche Lieferkettengesetz mehr Gerechtigkeit, beispielsweise für die Menschen im Südsudan?
Andreas Jung: Dies ist der Anspruch an das Lieferkettengesetz. Das Gesetz wurde dieses Jahr auf den Weg gebracht und ist ganz sicher ein Fortschritt. Im ersten Schritt werden die ganz großen deutschen Konzerne in die Pflicht genommen und im zweiten Schritt erheblich mehr. Danach soll es weitergehen. Es bringt eine gesetzliche Verpflichtung mit sich, dass Menschenrechte zum Maßstab werden. Die Unternehmen müssen eine Menschenrechtserklärung für sich formulieren. Sie bekommen eine gesetzliche Verantwortung - nicht nur für ihren Geschäftsbereich, sondern auch für ihren unmittelbaren Zulieferer. Die Verantwortung wird ihnen auferlegt, wenn sie in der weiteren Lieferkette substantiiert Kenntnis erlangen. Bei Menschenrechtsverletzungen müssen die Unternehmen Maßnahmen dagegen einleiten. Dies wird kontrolliert, kann eingefordert und kann - wenn nichts passiert - mit einem Bußgeld geahndet werden. Deshalb versprechen wir uns vom Lieferkettengesetz Fortschritte. Aber wir müssen weiter dafür arbeiten, dass über diesen und andere Wege solche Zustände wie im Südsudan nicht mehr vorkommen können.
Wie wichtig ist die Rolle von Organisationen wie Hoffnungszeichen bei der Umsetzung des Lieferkettengesetzes?
Andreas Jung: Organisationen wie Hoffnungszeichen kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Viele Menschen im Südsudan werden die Einzelheiten des deutschen Lieferkettengesetzes nicht kennen. Deshalb benötigen sie Fürsprecher wie Hoffnungszeichen, die die Situation vor Ort sowie das Lieferkettengesetz kennen. Diese Organisationen können beim zuständigen Bundesamt für Ausfuhrkontrolle (BAFA) auftreten und die Menschenrechtsverletzungen anprangern. Diese Aufgabe muss jemand übernehmen. Ganz explizit hat man vorgesehen, dass Organisationen wie Hoffnungszeichen die Rolle übernehmen können. Dies wird notwendig sein, um die Wirkung, die vom Lieferkettengesetz ausgehen kann, zur Entfaltung zu bringen.
Was kann der Konsument gegen das Leid der Menschen im Südsudan unternehmen?
Sibylle Giersiepen: Die Verbraucher können sehr viel gegen das Leid entlang der Lieferketten tun. Es gibt beim Weltgebetstag das Motto: Informiert beten, betend handeln. Der erste Schritt ist die Information. Jeder einzelne muss sich erst einmal bewusst werden, wo er oder sie an den globalen Zusammenhängen beteiligt ist. D.h. ich stelle mir als Konsument die Frage: Wo ist mein Part, wenn ich etwas einkaufe? Dabei sind Vereine wie Hoffnungszeichen sehr hilfreich, um uns die Information zu liefern. Im nächsten Schritt ist es wichtig, sich von einer Vision, beispielsweise von der Vision einer Welt ohne Hunger, leiten zu lassen. Für die Vision kann er oder sie ein Thema wählen, zu dem man etwas machen kann und will. Der Verbraucher sollte keine Angst vor globalen komplexen Situationen haben, sondern Veränderungen oder Einschränkungen im eigenen Bereich akzeptieren. Der Mut, die Vision aufrechtzuerhalten, gehört für mich zum Christ sein.
Wie wird Hoffnungszeichen weiter vorgehen?
Klaus Stieglitz: Wir werden das deutsche Lieferkettengesetz in seiner Wirksamkeit begleiten, Menschenrechtsverletzungen entlang der Lieferketten aufdecken und zur Weiterentwicklung des Lieferkettengesetzes beitragen:
- Begleitung des Lieferkettengesetzes: Hoffnungszeichen wird auf das Lieferkettengesetz aufmerksam machen und erklären, wen und wie dieses Gesetz schützt. Zudem möchten wir helfen, das Lieferkettengesetz in Deutschland umzusetzen. Dabei werden wir überwachen, ob zunächst große deutsche Unternehmen ihre Verantwortung und ihre Pflichten aus dem Lieferkettengesetz nachkommen, und sie ggf. daran erinnern.
- Aufdeckung von Menschenrechtsverletzungen: Wir werden unsere investigativen Recherchen fortsetzen. Dafür möchten wir mit den betroffenen Menschen in unseren Projektländern sprechen und ihnen zur Seite stehen. Zudem haben wir neuerdings mithilfe der Satellitenerkundung Möglichkeiten entdeckt, wie wir Umweltverschmutzungen auf der ganzen Welt aufdecken können. Zuletzt haben wir einen Pipeline-Bruch im Südsudan mit Satellitenbildern aufgeklärt und veröffentlicht. So glauben wir, dass die Menschenrechtsarbeit der Zukunft sich genau dieser Mittel bedienen wird, um die betroffenen Menschen mit Informationen zu unterstützen, damit sie ihre Rechte einfordern können. Unsere Erkenntnisse werden wir weiterhin publizieren und öffentlich zugänglich machen.
- Weiterentwicklung des Lieferkettengesetzes: Als Mitglied der Initiative Lieferkettengesetz haben wir für das deutsche Lieferkettengesetz gekämpft. Wir möchten dabei mitwirken, dieses Gesetz weiterzuentwickeln. Unser Ziel sind realistische Produktpreise, in die Schäden an Menschen sowie der Umwelt einkalkuliert werden. Daneben fordern wir ein Lieferkettengesetz auf europäischer Ebene, um einen gesetzlichen Rahmen für alle 27 EU-Mitgliedsstaaten zu schaffen.
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