Interview mit Dorit Töpler

Ukraine: Kriseneinsatz an der Grenze

Hoffnungszeichen-Mitarbeiterin Dorit Töpler war im März an der slowakisch-ukrainischen Grenze im Einsatz. Sie berichtet in einem Interview über ihre Erlebnisse mit den Geflüchteten und die Hilfe von Hoffnungszeichen.
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Dorit Töpler (li.) spricht einer 82-jährigen Geflohenen aus Kiew gut zu.
Dorit Töpler (li.) spricht einer 82-jährigen Geflohenen aus Kiew gut zu.

Wie haben Sie die Situation an den Grenzübergängen erlebt?

Die Eindrücke waren sehr unterschiedlich. Die ankommenden Flüchtlinge wurden von den Helfenden direkt versorgt. Helfende haben Geflohene gezielt angesprochen, sie zur Anmeldung oder medizinischen Untersuchung gebracht, ihnen Wege erklärt bzw. bei der Vermittlung der Weiterreise geholfen oder Tee und Decken gebracht. Es wurde niemand allein gelassen. Die meisten Geflüchteten sowie viele Helfende, die unermüdlich im Einsatz sind, waren erschöpft.

Was berichten Flüchtlinge aus der Ukraine?

Die Situation in der Ukraine wurde von den Geflüchteten sehr unterschiedlich dargestellt. Manche Menschen waren nach dem Beschuss des Kernkraftwerkes in der Nähe von Saporischschja geflohen, andere hatten ihre Heimat verlassen, weil Bomben fielen. Manche Menschen hatten noch keinen Beschuss erlebt. Die meisten Geflüchteten haben Angehörige, darunter vor allem Ehemänner und Väter, in der Ukraine zurücklassen müssen. Einige dieser Männer sind in der Armee und andere gehen wie gewohnt zur Arbeit.

Was hat Sie persönlich berührt?

Das waren neben der Arbeit vor Ort und dem „Funktionieren“ die vielen kleinen Eindrücke, die sich einbrennen. Das kleine Mädchen, das in eine goldglänzende Wärmedecke gehüllt war und sich an dem Glitzern erfreute. Ihr konnte ich ansehen, dass sie nicht wusste, wie ernst ihre Situation ist. Vermutlich hatte die Mutter, die mit zwei Kinderwagen neben ihr stand, ihr das nicht gesagt. Und dann der Anblick von einigen Kindern – das habe ich oft gesehen – die mit ihren Schulranzen oder einem Instrumentenkoffer auf dem Rücken über die Grenze kamen. Das berührt so sehr, weil man gerade daran sieht, wie furchtbar der Riss ist, der durch ihr Leben geht. Es gab auch eine Frau, die mir erzählte, sie hätte ihre beiden Papageien zurücklassen müssen. Das alles klingt im großen Rauschen eines Krieges so banal und unwichtig, aber wenn man sich auf die Ebene eines einzelnen Betroffenen begibt, dann sind genau das die Eindrücke, die den Krieg real werden lassen. Menschen verlieren ihr Leben nicht nur durch den Tod. Es wird ihnen alles genommen, was ihnen wichtig ist.

Ist Ihnen ein Schicksal besonders in Erinnerung geblieben?

Eigentlich alle, wenn ich ehrlich bin. Das Gespräch mit dem elfjährigen Jarislaw aus Saporoschschja beispielsweise hat mich besonders berührt, weil meine beiden Söhne in einem ähnlichen Alter sind. Jarislaw hat mir von der überstürzten Flucht seiner Familie berichtet. Er hatte geweint und halte über das Handy Kontakt mit einigen Freunden, die ebenfalls geflohen seien. Sein bester Freund sei mit seiner Familie in Polen. Auch von einigen seiner Lehrer wisse er, dass sie die Ukraine verlassen haben. Jarislaws Bericht macht mir bewusst, wie groß das menschliche Leid hinter diesem simplen Wort „Flucht“ ist. Wohnungen und vertrautes Umfeld werden verlassen, Freunde und Familienmitglieder verlieren sich aus den Augen, soziale Gefüge brechen auseinander und alles, was dem Leben eines Menschen Stabilität gibt, existiert nicht mehr.

Wie hilft Hoffnungszeichen sowohl den Binnenvertriebenen der Ukraine als auch den Flüchtlingen in den Nachbarländern?

Nachdem die erste Notlage der Flüchtlinge außerhalb der Ukraine durch die enorme Hilfsbereitschaft in Europa in Form von Sachspenden flächendeckend gemildert ist, befinden wir uns jetzt in einer zweiten Phase der Hilfeleistung. Hierbei geht es darum, Unterstützung in Form von Geldspenden am schnellsten dort zu leisten, wo sie am dringendsten benötigt wird.
Die Versorgung der Geflüchteten an den Grenzübergängen zur Ukraine sind weiterhin wichtige Hilfsmaßnahmen. Daher führen wir die Nothilfe gemeinsam mit unseren lokalen Partnern Diözese Košice sowie People in Need (PIN) fort.
Daneben geht es jetzt vor allem darum, auch Hilfe in die Ukraine selbst zu bringen. Denn dort herrscht die eigentliche humanitäre Katastrophe. Hierbei sind uns PIN und Spasibo verlässliche Partner, denn diese Organisationen sind dort heimisch und vernetzt. Mit Kleintransportern begeben sie sich in die Kriegsgebiete, um vor allem ältere Menschen sowie Familien mit beeinträchtigten Kindern mit Hilfsgütern bestehend aus Nahrung, Decken und Kleidung, Hygiene und sauberem Trinkwasser zu versorgen. Dieser Einsatz ist sehr riskant, aber durch unsere Partner vor Ort möglich.
Als dritte Phase planen wir Hilfe, die langfristig und nachhaltig wirkt. Die Ukrainerinnen und Ukrainer werden eine solche Unterstützung benötigen. Denn auch wenn sich der Krieg heute legen würde, würde ein Wiederaufbau Jahre dauern. Auch in dieser Phase möchten wir den Opfern des Krieges beistehen.

Diese Hilfe in der Ukraine unterstützen

Nähere Informationen zu den laufenden Hilfsmaßnahmen von Hoffnungszeichen finden Sie auf unserer Nothilfe-Seite sowie in unserem Ukraine-Ticker:

 

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